Der Himmel über dem Ettinghausenplatz ist freundlich an diesem 9. November 2023. Nachdem es am Nachmittag stundenlang in Strömen geregnet hat, begrüßt Petra Scharf von der Höchster AG für Geschichte und Erinnerung rund 100 Gäste auf dem Ettinghausenplatz - ganz ohne Regen. Deutlich mehr Besucher als in den vergangenen Jahren sind mitten in schweren Zeiten des Terrors und der Gewalteskalation im Nahen Osten und wieder wachsender Feindseligkeit gegen Juden gekommen, um daran zu erinnern, dass vor 85 Jahren an diesem Platz die Synagoge der Höchster jüdischen Gemeinde brannte. Nationalsozialisten hatten sie in der Nacht vom 9. auf den 10. November, der so genannten "Reichspogromnacht" mutwillig in Brand gesteckt. Seit dem Zweiten Weltkrieg steht an diesem Platz ein Hochbunker. Auf seine Fassade ist ein Bild der Synagoge mit hohen Rundbogenfenstern und dem Davidsstern aus Stein projiziert.

Wer angesichts der Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Homosexueller und Menschen mit Behinderung durch die Nazis Musik spielen und dabei "den richtigen Ton" treffen möchte, der hat das Bedürfnis, diese Musik zu erläutern. "Wir spielen das Stück 'May the force be with us' von John Williams", sagt daher Anna Bening für die Schülerinnen und Schüler der Leibnizschule und des Friedrich Dessauer Gymnasiums. Sie begleiten das Gedenken musikalisch unter der Leitung der Leibniz-Lehrerin Jessica Walter. Anna Bening erklärt anschließend, welche Macht gemeint sei: "die Macht der lebendigen Demokratie, der Humanität und der gelebten Gemeinschaft von Menschen unterschiedlichster Herkunft".

Lebendig ist die Erinnerung an die Pogromnacht in Höchst noch immer für Anneliese Bartnik. Die betagte Höchsterin berichtet, wie der Gemischtwarenladen der jüdischen Familie Salomon, Großeltern ihrer Freundin Hanne, ausgesehen hatte, nachdem die Nazis diesen in derselben Nacht geplündert und verwüstet hatten. Aus ihren Worten und ihrer Stimme spricht noch heute der Schock und ihre Mitgefühl für die Freundin. Wieder eine Stimme und damit einen Platz in Geschichte

und Gegenwart bekommt auch Familie Schain an diesem Abend. Während ihr Foto überlebensgroß an der Bunkerwand auftaucht, lässt die Höchster Stage-and-Musical-Academy die Geschichte des jüdischen Arbeiters Josef Schain in einer szenischen Lesung lebendig werden. Schain hatte Polen 1917 voll Hoffnung auf eine Arbeitsstelle bei den Farbwerken verlassen. Er gründete eine Familie, wurde bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt und wurde von den Nazis mit seiner Familie im Oktober 1938 wieder nach Polen abgeschoben, wo er 1941 im Ghetto Lodz starb. Seine Tochter Josefine hat ihre Erinnerungen - auch jene an Helfer und Unterstützer in jener Zeit - in einem Interview erzählt. Waltraud Beck von der AG Geschichte und Erinnerung hat dies zur Lesung aufbereitet.

"Ich bin sehr berührt, dass heute so viele gekommen sind", fügt auch Ralph Hofmann am Abend hinzu. Er sitzt der wohltätigen jüdischen B'nai B'rith Schönstädt Loge in Höchst vor. Hofmann berichtet aus einem Kibbuz nahe des Gaza-Streifens vom dortigen großen Wunsch nach Frieden. Diesen

Wunsch fasst die Schülerin Anna Bening bei der Ankündigung des letzten Musikstücks "Somewhere over the Rainbow" aus dem "Zauberer von Oz" in schöne Worte: "Wir wollen der Hoffnung auf eine friedfertige Zukunft einen Klang geben".

Wer sich über die Höchster Geschichte und die Zeit des Nationalsozialismus genauer informieren möchte, findet über Seite der AG Geschichte und Erinnerung weitere Veranstaltungen .