Leben in einer pluralistischen Gesellschaft will gelernt sein. Das Projekt "Synagoge- Kirche - Moschee" ist daher seit Jahren fester Bestandteil des Schulcurriculums der Fächer Religion und Ethik an der Leibnizschule. Alexandra Wypich, Lehrerin für Geschichte und katholische Religion, hat aus einem Vorläuferprojekt und aus Lehrgängen ein Konzept entwickelt, durch das die Schülerinnen und Schüler alle drei abrahamitschen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - kennenlernen. Die Idee, die Ziele und ihre Erfahrungen erläutert sie im Interview:
Wie sieht das Projekt "Synagoge - Kirche - Moschee" in der Praxis aus?
Alexandra Wypich: Wir besuchen mit allen sechsten Klassen die Westend-Synagoge und eine Moschee in Frankfurt. In Jahrgangsstufe acht beschäftigen wir uns im Religionsunterricht dann mit der Reformation und besuchen eine christliche Kirche. Die Religions- und Ethik-Lehrkräfte bereiten die Besuche vor und sammeln Fragen der Kinder. Sie dürfen ausdrücken, was sie irritiert und was sie überrascht und alle ihre Fragen stellen.
Was wollen die Kinder zum Beispiel wissen?
Ob man in der evangelischen Kirche Schweinefleisch essen darf. In der Moschee kam die Frage, welche Bedeutung die fünf Gebete für Moslems haben oder warum man die Schuhe am Eingang auszieht. Als wir gerade wieder in der Synagoge waren, wollten sie wissen, was es mit dem Schabbat auf sich hat und warum es so viele Regeln gibt. Oder warum Juden gerade so viele Schwierigkeiten haben. Sie bekommen dann Antworten von glaubenden Vertreterinnen und Vertretern der Religion - also aus erster Hand. Politische Fragen lassen wir noch außen vor - sie haben in diesem Alter noch nicht einmal Politik-Unterricht.
Die Schülerschaft der Leibnizschule hat christlichen, muslimischen und jüdischen Hintergrund - wie reagieren die Kinder in ihnen fremden Gotteshäusern?
Sie sind meist ganz offen, finden die Gotteshäuser einfach schön. Sie sind neugierig und finden es spannend, auf der Orgel spielen zu dürfen. Oder wollen gern schöne Gegenstände anfassen, Düfte riechen, den Teppich unter den Knien spüren. Die Sechst- und Achtklässler machen die Erfahrung: In allen Religionen sind Menschen, die freundlich auf sie zugehen. Und sie merken, wie sie und wir mit anderen in dieser Gesellschaft umgehen. Diese Menschen aller drei Religionen haben ein wahres Interesse, in Deutschland in Frieden miteinander zu leben und sich auszutauschen.
Bringt das die Kinder mit einer religiösen Prägung nicht in innere Konflikte?
Die Kinder zeigen natürlich ihre Prägung, aus der heraus auch die Fragen entstehen. Das ist gut so. Diese Verunsicherung tragen sie vielleicht auch wieder nach Hause. Wir bitten daher die Eltern, ihren Kindern zu sagen: "Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft und sollten lernen, gut miteinander auszukommen." In diesem Projekt lernen die Schülerinnen und Schüler ein Stück mehr, wer sie selbst sind und wer die anderen sind. Das ist ein jahrelanger Wachstumsprozess vom Kind zum Jugendlichen. Es geht nicht darum, die Heranwachsenden von etwas anderem zu überzeugen. Im Gegenteil, sie sollen sich gestärkt fühlen, weil wir nicht bewerten, sondern weil wir sie das andere nur kennenlernen lassen möchten. Die Festigung der eigenen Identität ist wichtig. Denn erst, wenn das Eigene stark genug ist, bin ich in der Lage, das Fremde stehenzulassen.
Welche Kompetenz möchte die Leibnizschule ihre Lernenden mit dem Projekt "Synagoge - Kirche - Moschee" fördern?
Unser Wunsch und Ziel ist, ihre Fähigkeit zur Toleranz und die Kommunikationsbereitschaft zu stärken: Wer die Leibnizschule besucht, soll die anderen kennenlernen und sie in ihrem So-Sein stehenlassen. Wenn die Kinder ein gutes Miteinander in allen Gottesthäusern erlebt haben, werden sie später eventuell vorbereitet sein, um sich mit solchen Konflikten konstruktiv auseinanderzusetzen. Interview: Annegret Schirrmacher
Hier geht es noch zu zwei Berichten von Schülerinnen über ihren Besuch in der Westend-Synagoge.