“Wie kann ein ganzes Land eine einzelne Gruppe töten wollen, nur weil sie etwas anderes glaubt?” Die Neuntklässlerin Natalija Stosic aus dem Wahlunterricht Kunst von Dr. Andrea Mihm bringt die Fassungslosigkeit auf den Punkt, die einen angesichts der systematischen Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung der Juden – auch der Höchster Juden – ergreift. Gerade hat sie mit elf weiteren “WU Kunst”-Schülern dazu Texte und Fotos, Skizzen und Zeitungsartikel auf den Schautafeln der Ausstellung im Innenhof aufmerksam betrachtet und gelesen. Jetzt können alle Dr. Helga Krohn Fragen stellen.

“Das ist eine sehr gute Frage, eine große Frage, die sich alle Menschen stellen, die sich mit dieser Zeit auseinandersetzen”, antwortet die Historikerin, die die Ausstellung mitgestaltet hat. Beantworten lasse sie sich in einer Schulstunde höchstens ansatzweise. Krohn erzählt davon, wie Menschen jüdischen Glaubens in der Geschichte immer wieder für Unglück verantwortlich gemacht wurden, für die Pest, für wirtschaftliche Schwierigkeiten. “Wenn man das oft genug behauptet, dann glaubt das die Mehrheit irgendwann.”
Sie lobt die Schülerinnen und Schüler, wie viele Informationen sie in kurzer Zeit den Tafeln entnommen hätten. Während im Schulhof ein paar Jungen Fußball spielen und fröhlich rufen, kommen die Neuntklässler beim Gespräch im Kunstraum immer wieder auf die Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus, der 1930er und 1940er Jahre, zu sprechen. Sie erzählen, dass “auf einmal nur noch ganz wenige Kinder zum Kindergeburtstag eines jüdischen Mädchens gekommen sind, während im Jahr davor noch viele Gäste gekommen waren.” Sie wollen wissen, warum jüdische Eltern während des Zweiten Weltkriegs ihre Kinder auf die Kindertransporte in die Niederlande oder nach England geschickt hätten, obwohl sie wussten, dass sie sie vielleicht nie wieder sehen würden. “Für die Kinder war das erst einmal ein Abenteuer, mit vielen anderen auf eine Reise zu gehen”, berichtet Helga Krohn. “So haben es ihnen die Eltern auch erzählt.” Das Schwere an dieser Reise haben die Erwachsenen getragen.
Ernsthaft und sehr freundlich geht Helga Krohn auf die Fragen der Jugendlichen ein, bürdet ihnen aber nie die Last dieses dunklen Kapitels in der deutschen Geschichte auf. Sie nennt Fakten, versucht zu erklären. Und zeigt den beiden Wahlunterrichtskursen Kunst und Gesellschaftswissenschaften, wie sie sich in den kommenden Monaten mit diesem Thema auseinandersetzen und trotzdem fröhliche Jugendliche ihrer Zeit sein können. Zumal der Zweite Weltkrieg vor mehr als 70 Jahren endete und maximal ihre Urgroßeltern und Großeltern noch direkt betroffen hat. Die Schüler aus Einwandererfamilien bringen wiederum ganz andere Hintergründe aus den Herkunftsländern mit.
Verbinden wird sie alle, dass sie durch das “Nachspü/uren”  Mitschülerinnen und Mitschülern der Leibnizschule, die Flucht und Vertreibung erlebt haben, anschließend vielleicht anders begegnen, weil sie sich in deren Welt hineinversetzt haben.
Dabei soll ihnen eine künstlerische Herangehensweise helfen. Die Frankfurter Künstlerin und Illustratorin Leonore Poth wird sie auf diesem Weg begleiten. Sie bleibt an diesem Nachmittag ganz im Hintergrund, verfolgt den Ausstellungsgang und das Gespräch aber sehr aufmerksam: “Ich möchte von Anfang an miterleben, was die Jugendlichen bewegt, damit wir das dann entsprechend künstlerisch bearbeiten können.” Das könne eine Graphic Novel sein aber auch eine Installation – oder ganz etwas anderes.
Die Begehung der Ausstellung unter Begleitung von Helga Krohn bildet – nach einem Workshopbesuch zur Beutekunst im Liebieghaus – den Auftakt für das vielfältige Jahresprogramm. Die beiden Kurse unter der Leitung von Geschichtslehrer Julien Halbow und der Kunstlehrerin Andrea Mihm tragen das Projekt “Nachspü/uren”. Dies begibt sich durch Archivrecherche, Zeitzeugengespräche und künstlerischer Verarbeitung des Erlebten während des Festjahres zum 175-jährigen Geburtstag der Leibnizschule auf die Suche nach ehemaligen jüdischen Schülern und Lehrern der Schule und des Stadtteils Höchst. Den nächsten Schritt wird der Kurs unter Anleitung eines Kriminologen machen, der sie in die “Spurensicherung” der Polizei einführen wird.

Über die Ausstellungsbegehung mit Dr. Helga Krohn berichteten die Frankfurter Rundschau und das Höchster Kreisblatt: