Am frühen Morgen gehört der Garten Frau Müller. Dann herrscht um den Schulteich friedliche Stille. In der kühlen Morgenluft trägt die Rabenkrähe harte Brotkanten an die Vogeltränke, weicht sie im Wasser auf und nimmt einen Kieselstein in den Schnabel, um ihr Frühstück zu zerkleinern. Frau Müller hat eine Freundin. Sie heißt Iris Gniosdorsch, ist Lehrerin in der Leibnizschule, zu der der Teich gehört, und kommt genauso gerne wie der intelligente Vogel in den Biologiegarten auf der Sonnenseite der Schule, genießt dort die Ruhe. Liegen doch geschäftige Wochen hinter den beiden.
Denn 16 Lehrerinnen und Lehrer haben mit Iris Gniosdorsch innerhalb von 16 Tagen nicht nur die Grube für den 70 Zentimeter tiefen Teich ausgehoben. Sondern auch den 23 Meter langen, 60 Zentimeter tiefen und 40 Zentimeter breiten Graben, in dem jetzt das Stromkabel liegt. Das wiederum versorgt die Pumpe im Teich mit Strom und lässt das Wasser beruhigend plätschern. Wäre dies ein Mathe-Buch, folgte jetzt die Textaufgabe: "Wenn ein Kubikmeter Erde eine Tonne wiegt, wieviel Gewicht an Aushub hat jeder Helfer bewegt?" Aber dies ist kein Mathe-Buch. Und um den Teich stehen an diesem Donnerstagnachmittag in der schönsten Junisonne all die Helfer und ein paar geladene Gäste und staunen.
Sie staunen und loben, was hier in kürzester Zeit mitten in der Corona-Krise entstanden ist. Sie sehen zu, wie Regina und Walter Wiendl eine Regenbogenelritze nach der anderen ans Wasser bringen. Die was bitte? Regenbogenbunte Fische. Jeder Helfer darf einen der Fische mit dem eigenen Namen ins Wasser setzen. So schwimmen dort jetzt "Madame Cadiou", "Moussa", der "Lugi-Fisch", "Herr Brendl", "Charlotte" oder"Ayman". Die Gäste der Teichtaufe wandeln an den Beeten vorbei, zerreiben Kräuterblättchen zwischen den Fingern und saugen ihre Düfte tief ein: Thymian, marokkanische Minze, Zitronenverbene und ein Rosenduft namens "Rhapsody in Blue". Umwerfend.
Das finden auch die Hummeln, Bienen und anderen Insekten, die sich innerhalb kürzester Zeit dort eingefunden haben. Zur Vorspeise landen sie in der Katzenminze, besuchen zum Hauptgericht das heilsame Marienblatt und zum Dessert ... was nehmen wir denn heute?... ach ja, naschen wir mal von den Bienenweidenrosen. Bei der Planung dieses Biotops in der stets wachsenden Gartenlandschaft der Leibnizschule hat Iris Gniosdorsch gemeinsam mit Charlotte Weissenberger und Kathrin Wolf drei Dinge im Auge: "In dieser Lage müssen die Pflanzen hitzeresistent sein", erklärt Frau Gniosdorsch. "Dazu müssen sie Insekten Nahrung bieten, Eidechsen einen Unterschlupf und damit bedrohten Spezies einen Lebensraum." Schließlich soll der Garten für die Schüler ein Stück Natur zum Anfassen sein. Gemeinsam mit ihren Lehrkräften dürfen sie ganz nah kommen, Tomaten ernten, Fische beobachten, begreifen, was Pflanz-Zonen sind. "Wir können hier mit dem Wahlunterricht Naturwissenschaften in Klasse 9 und 10 Wasserproben nehmen und mit Wasser aus dem Liederbach oder dem Main vergleichen", überlegt Biologie-Lehrerin Jutta Menig-Scholz. Weiter lässt die Teichlandschaft begreifen, wie Gewässerökologie funktioniert.
Wer hätte noch einen Fisch mit seinem Namen verdient, wenn denn noch mehr Tiere Platz gehabt hätten im kühlen, frischen Wasser? Den "Sparda-Fisch" sollte Alexander Schatygin von der gleichnamigen Bank bekommen. Sein Unternehmen hat das Projekt mit 3000 Euro aus der Klick-Aktion "Vereint für deinen Verein" im vergangenen Jahr überhaupt erst ermöglicht. Einen Fisch namens "Vladimir" hätte Herr Bukovsak verdient. Denn der Schulhausverwalter hat die Finanzierung der Stromleitung gemeinsam mit seinen Vorgesetzten im Amt für Bau und Immobilien, Ruth Gezi und Gesa Kaiser, "auf dem kleinen Dienstweg" geregelt. "Sunflower" wäre auch ein schöner Fischname, denn der gleichnamige Gartenmarkt spendete alle Steingartenpflanzen und reduzierte deutlich den Preis fürs Teichschutzgitter. Familie Wiendl hat sowieso einen festen Platz im Herzen der Schulgemeinde angesichts ständiger tatkräftiger Unterstützung. Und der "Förder-Fisch" würde für den Förderverein durchs Wasser flitzen. Denn Yunita Purwanto, Maja Lehmann und Kerstin Mayer aus dem Verein nehmen mit der Projektabwicklung, sprich, der Bezahlung der Rechnungen, jetzt die letzte Etappe des lebendigen Projekts in Angriff.
Zum Ausruhen dürfen alle, alle wiederkommen und unter den neu gepflanzten Apfel- und Quittenbäumen Platz nehmen. Auch die Kollegen vom Friedrich-Dessauer-Gymnasium, die Pflanzen gespendet und mitgefeiert haben. Die jungen Bäume spenden hoffentlich bald schon kühlen Schatten. Auch für die, die durch jede online abgegebene Stimme für das Projekt im vergangenen Jahr das Teich-Projekt nach vorne geklickt haben.